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Beratende Ingenieure

Bibliothek und Musikschule Guben

„Vom Industriebau zur Kulturoase“

Roter Backstein, großflächige Fensterfronten und ein quaderförmiger Entwurf markieren das unverkennbare Design eines industriellen Zweckbaus. In Guben, dem Zentrum europäischer Hutproduktion zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts, zeugen noch heute viele dieser Bauwerke vom Aufschwung jener Epoche, von denen bereits einzelne zu erhaltenswerten Denkmälern unserer Zeit erklärt wurden. Zu ihnen gehört der Gebäudekomplex der einstigen Hutwerke der Fabrikantenfamilie Wilke, später VEB Vereinigte Hutwerke Guben, bzw. Gubener Hüte GmbH, direkt gelegen im heutigen Zentrum der Stadt. Im Jahr 2000 wurden dort zuletzt Hüte gefertigt. Danach erlosch die Beleuchtung jener Hallen, in deren Licht ein knappes Jahrhundert deutsche Industriegeschichte geschrieben wurde. Von nun an sah der leerstehende Gebäudekomplex einer ungewissen Zukunft entgegen.

Das Ende der Gubener Hutproduktion bedeutete aber zugleich ein Neuanfang: Wie jede ostdeutsche Stadt muss sich auch Guben den Realitäten des 21.Jahrhunderts stellen. Der deutlich spürbare Wandel demografischer Verhältnisse und die Tatsache, dass ganze Generationen auf der Suche nach Arbeit die Region verlassen, sorgte für den Abriss tausender ungenutzter Wohneinheiten und die Schließung von Schulen und Kindergärten. Nachhaltiger Stadtumbau bedeutet aber nicht nur dem Leerstand entgegenzutreten, sondern letztlich auch denjenigen ein attraktives Lebensumfeld zu schaffen, die im Land Brandenburg ihre Heimat gefunden haben oder noch finden werden. Vor diesem Hintergrund entwarfen Stadtplaner die Vision eines neuen Zentrums für die Stadt Guben, zu deren Mittelpunkt das industriell geprägte Ensemble der ehemaligen Hutfabrik Wilke gehören soll. Es galt, eines der Gebäude mit den Fähigkeiten des Ingenieurwesens für die Kultur und damit für eine gesteigerte Lebensqualität nutzbar zu machen.

Das dreigeschossige Gebäude mit dem markanten Treppenturm unterteilt sich heute, nach 16-monatiger Umbauphase, in drei Aufgabenbereiche: Im Erdgeschoss finden sich Ausstellungsräume und ein gastronomischer Bereich für Musik-, Kunst- und andere kulturelle Veranstaltungen. Das 1. Obergeschoss beherbergt die Musikschule „Johann Crüger“. Aufgeteilt auf 41 Räume unterschiedlichster Nutzung, kann die Musikschule jedem ein Angebot in Tanz-, Gesang- und Instrumentalausbildung unterbreiten. Das 2. Obergeschoss dient auf seiner Gesamtfläche heute als Stadtbibliothek. Auf rund 800 Quadratmetern finden 45.000 Medienangebote Platz, unterteilt durch Themengebiete und begrünte Leseinseln.

Die konstruktiven Herausforderungen des Umbaus dieses einst industriell genutzten Gebäudes bestanden darin, den speziellen Anforderungen der unterschiedlichen Aufgabenbereiche, sowie einem modernen Energiekonzept gerecht zu werden. Darüber hinaus sollte der architektonische Charakter der ehemaligen Produktionsstätte in besonderer Weise Ausdruck finden. Das unbekleidet verbliebene Tragwerk der Dachkonstruktion wird so zum bestimmenden Element der Bibliothek. Säulen bilden Leit- und Sichtachsen durch den unverbauten Raum, schaffen aber zugleich räumliche Trennlinien, an denen die Orientierung Bezug nehmen kann. Ein Laubengang entlang der Ost- und Westfront der Bibliothek gestattet es, die ursprüngliche Außenansicht des Gebäudes zu bewahren, ermöglicht aber gleichzeitig nach innen versetzte, großflächige Fensteröffnungen über die gesamte Raumhöhe. In der Summe dieser Entscheidungen überzeugt das 2. Obergeschoss durch ein Gefühl von lichtdurchfluteter Offenheit. Eine Etage tiefer, in den Räumen der Musikschule, konnte auf ein Laubengang verzichtet werden. Die an die frühere Industrieverglasung erinnernden Fensterflächen bieten den unterteilten Räumlichkeiten hinreichend Ausleuchtung. Absorbierende Trennwände und geneigte Deckenflächen verhindern unerwünschte Schallreflexionen. Sie ermöglichen eine ungestörte Ausbildung und verleihen den Räumen insgesamt Ruhe und Geborgenheit. Im Erdgeschoss wurden die Ausstellungsräume nach innen versetzt und durch eine ganzflächige Öffnung zur Hofseite ein breiter Zugang geschaffen, der im Nutzungscharakter, besonders mit dem sich anschließenden Veranstaltungssaal, umfassende Vielseitigkeit verspricht. Das erhalten gebliebene backsteinfarbene Mauerwerk erinnert die Besucher an die Ursprünglichkeit dieses einst der Industrie gewidmeten Ortes, zugleich aber überstrahlt es den gesamten Bereich mit Wärme und Behaglichkeit.

Beginn der Umbaumaßnahmen im Jahr 2004